Theorie esoterischer Kommunikation

Bearbeitung: Ralf Klausnitzer

Gegenstand des Forschungsprojekts sind unterschiedliche Formen der Darstellung und Verbreitung von literarischen und wissenschaftlichen Geltungsansprüchen, die gleichwohl eine Gemeinsamkeit aufweisen: Im Gegensatz zu einer (idealiter) universalen, an eine uneingeschränkte Öffentlichkeit oder an eine durch visible Zugangsregeln limitierte Expertenkultur gerichtete Kommunikation, werden literarische Aussagen und Wissensansprüche spezifisch limitiert und partikularisiert – zum einen durch Adressierung an eine exklusive Gruppe, zum anderen durch Benutzung eines je eigenen sprachlichen bzw. nichtsprachlichen Regelsystems. Diese je spezifischen Limitationen reagieren auf komplexe kulturelle Problemlagen – im besonderen auf die Vervielfältigung sowie die Konfrontation von Geltungsansprüchen.

Gruppenbezogene Adressierung und Reglementierung setzen zugleich einen besonderen Umgang mit sprachlich-zeichenhaft generierten Welten voraus und treiben ihn voran: Zum einen erfordern und entwickeln sie vielfältige Techniken zur Erzeugung von Texteffekten, deren übergreifendes Charakeristikum in einer Maximierung von Mehrdeutigkeit durch Anspielungen, Verschleierungen, Verrätselungen etc. besteht; zum anderen basieren sie auf permanent weiter entwickelten Techniken zur (gruppenbezogenen) Deutung und Erklärung dieser Mehrdeutigkeit.


Ausführlichere Darstellung
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Exklusive Adressierungen und Verfahren zur Erzeugung wie zur Auflösung maximierter Mehrdeutigkeiten lassen sich seit der Platonischen Differenzierung von „exoterischer“ und „esoterischer Lehre“ beobachten und fanden entsprechende wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Während zum frühneuzeitlichen Hermetismus sowie zur klandestinen Literatur einer frühaufklärerischen „Moderne aus dem Untergrund“ (Martin Mulsow) inzwischen zahlreiche Untersuchungen vorliegen, steht eine systematische Modellierung dieser Kommunikationsformen und eine historische Rekonstruktion ihrer weiterreichenden Einflüsse auf das ausgehende 18. Jahrhundert und die Folgezeit noch aus.
Dementsprechend weist das geplante Forschungsvorhaben eine dreifache Zielstellung auf. In einem ersten, auf bereits vorliegenden literatur- und wissenschaftstheoretischen Überlegungen sowie historischen Recherchen basierenden Schritt sollen spezifisch limitierte Adressierungen von literarischen und wissenschaftlichen Geltungsansprüchen systematisch modelliert werden. Neben der Beschreibung und Erklärung übergreifender Voraussetzungen, Verfahren und Verlaufsformen für gruppenbezogene Limitationen geht es dabei zugleich um eine heuristisch tragfähige Abgrenzung von esoterischer, hermetischer und klandestiner Kommunikation, denn allein begriffliche Klarheit vermag dem inzwischen weitgehend metonymisch überdehnten Gebrauch dieser Termini anschlußfähige Konkretion entgegenzusetzen. In einem zweiten, nun eigene historische Recherchen erfordernden Schritt werden die so gewonnenen Präzisierungen auf kulturelle Konstellationen angewandt, deren Prägung bzw. Beeinflussung durch esoterische, hermetische und klandestine Verkehrsformen bislang erst in Anfängen erforscht ist:
(a) die Phase zwischen 1770-1830, in der sich die aufgeklärte „Gelehrtenrepublik“ in ein von divergierenden „Factionen“ geprägtes Literatursystem sowie in ein disziplinär gegliedertes Wissenschaftssystem transformierte;
(b) die Phase zwischen 1890 und 1930, in der ein als Krise wahrgenommener Beschleunigungs- und Vervielfältigungsprozeß in Literatur- und Wissensproduktion (im Verbund mit Atomisierungs- und Dissoziationserfahrungen, zunehmender Unübersichtlichkeit und Unanschaulichlichkeit etc.) zu verstärkten Gruppenbildungen mit z.T. weitreichenden Abschließungsformen und -verfahren führte.
Auf beide Situationen sind analoge Fragestellungen anzuwenden, um soziale Praktiken der Konstruktion von Gruppenidentitäten durch explizite und implizite Formen der Inklusion/ Exklusion und kognitive Mechanismen zur distinkten Markierung von Wissensansprüchen materialgesättigt rekonstruieren zu können.
Der dritte und abschließende Schritt besteht in einer Verknüpfung der gewonnenen Einsichten mit Fragestellungen nach Leistungen und Erkenntnismöglichkeiten einer „Sozialen Epistemologie“, welche die Wissensproduktion in sozialen Zusammenhängen zu rekonstruieren sucht und deren zentrale Begriffe wie Autorität, Glaubwürdigkeit und Vertrauen dazu beitragen können, die Akzeptanz begründeten Wissens gegenüber beliebigen Überzeugungen zu beschreiben, zu deuten und zu erklären.


Verknüpfungen

Kontakt: Ralf Klausnitzer