Bearbeiterin: Alexandra Skowronski
Das Projekt konzentriert sich auf frühe Texte Max Benses (1910–1990), der in den 1930er und 1940er Jahren sowohl als Naturwissenschaftler als auch als Philosoph in Deutschland zu reüssieren sucht. Bense ist kein Nationalsozialist, gibt aber ein signifikantes Beispiel für zeittypische Anpassungen und ambivalente Rollenprofile im nationalsozialistischen System ab. Bense promoviert 1937 bei Oskar Becker über „Quantenmechanik und Daseinsrelativität“ und bemüht sich, da er im Unterschied zu anderen ‚Nutznießern‘ des nationalsozialistischen Wissenschaftssystems noch nicht fest im akademischen Umfeld etabliert ist, jenseits des akademischen Wegs um Visibilität. Entsprechend verfasst er in den 1930er und 1940er Jahren ein breites Spektrum an Texten: Als popularisierender Wissenschaftsjournalist veröffentlicht er vornehmlich in der Kölnischen Zeitung zahlreiche Artikel zu naturwissenschaftlichen Themen, etwa zur modernen Physik, aber auch zu philosophischen Neuerscheinungen, wobei unter anderem sein häufiger und positiver Bezug auf die internationale Philosophie auffällt. Zugleich publiziert er etliche umfangreichere philosophische Abhandlungen. So polemisiert er etwa in der wortgewaltigen Schrift Anti-Klages oder Von der Würde des Menschen (1937) gegen Ludwig Klages, plädiert in dem hermetisch erscheinenden Text Die abendländische Leidenschaft oder Zur Kritik der Existenz (1938) für eine Form der Synthese von Geist und Leben, schreibt Vom Wesen deutscher Denker oder Zwischen Kritik und Imperativ (1938), schafft mit der Einleitung in die Philosophie. Eine Einübung des Geistes (1941) oder Aus der Philosophie der Gegenwart (1941) kleinere Überblickswerke oder beteiligt sich u.a. mit Sören Kierkegaard. Leben im Geist (1942) an der Kierkegaard-Renaissance der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Diese frühen Schriften des kaum 30-jährigen Bense sind bislang nur punktuell bearbeitet und beispielsweise in der vierbändigen Ausgabe ausgewählter Schriften (Max Bense: Ausgewählte Schriften in vier Bänden. Herausgegeben und mit Einleitung, 2 Anmerkungen und Register versehen von Elisabeth Walther, Stuttgart 1997/98) nahezu gänzlich ausgeklammert. Zwar ließen sich diese Texte ideologiekritisch lesen und auf Benses Affinität oder auch Abstand zum Nationalsozialismus hin befragen. Weiterführender aber ist vor dem Hintergrund des kontroversen nationalsozialistischen Wissenschaftsbegriffs die Frage, wie Bense mit den politischen Vorgaben intellektuell umgeht und sich und seiner Agenda im „Überzeugungssystem“ Nationalsozialismus Gehör zu verschaffen sucht. Diese Frage soll im Rahmen einer dezidiert literaturwissenschaftlich-philologischen Lektüre, die auch die rhetorischen Strategien und Argumentationsmuster zu berücksichtigen weiß, erörtert werden. Unterstützt wird die Untersuchung der Texte Benses durch eine vergleichende Perspektive auf andere philosophische Schriftsteller der Zeit, etwa Jürgen von Kempski, und andere Disziplinen, etwa die Nationalökonomie. In methodischer Hinsicht steht die über die Untersuchung Benses hinausgehende hermeneutische Frage nach dem Umgang mit Texten aus der Zeit des Nationalsozialismus im Mittelpunkt. Wie lässt sich eine über Paraphrase und Rekonstruktion hinausgehende analytische Perspektive auf diese Texte gewinnen? Wie rechtfertigt und hierarchisiert man als Interpret die für die Bedeutungszuschreibung relevanten Kontexte? Welche rhetorischen Strategien und Argumentationsfiguren, Subtexte und Anschlussstellen oder auch camouflierte Signale des Widerstands lassen sich philologisch-hermeneutisch erfassen? Das Erkenntnisziel der Arbeit liegt darin, Benses Position im Rahmen des Streits um die „radikal mit der Tradition brechende“, an der „deutschen Linie des Denkens und Fühlens“ orientierte Wissenschaftsauffassung der Nationalsozialisten zu bestimmen und so an einem signifikanten Beispiel Aussagen über Verhaltensstrategien und Karrierewege während des Nationalsozialismus zu treffen. Max Bense ist dafür nicht zuletzt deshalb ein geeignetes Beispiel, weil er über die vermeintliche Zäsur von 1945 hinweg produktiv bleibt und sich schließlich auch akademisch etablieren kann.