Die Mathematik im Jenseits der Kulturwissenschaften

Bearbeitung: Andrea Albrecht im Rahmen des Emmy Noether-Rogramms der DFG

Kurzcharakterisierung:

Die Mathematik im Jenseits der Kulturwissenschaften
Zur literarischen und kulturellen Konstruktion des Mathematischen zwischen 1880 und 1950

Im Zuge der kulturwissenschaftlichen Wende der Geisteswissenschaften wird ein integrativer, die Naturwissenschaften umschließender Kulturbegriff eingefordert. Ausgeblendet bleibt dabei häufig die Mathematik, obwohl sie in den kulturwissenschaftlichen Ansätzen der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine entscheidende Rolle gespielt hat und sowohl auf der Ebene der theoretischen Konzeptualisierung als auch auf der Ebene des kultur- bzw. literaturwissenschaftlichen Gegenstandsbereichs äußerst präsent war.

Das Projekt rekonstruiert den funktionalen Stellenwert, den mathematische Denkformen innerhalb der literarischen, ästhetischen und kulturwissenschaftlichen Theorie- und Modellbildung der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts einnahmen. Die vergleichende Interpretation literarischer, ästhetischer, kulturwissenschaftlicher, metamathematischer und mathematikphilosophischer Rede über Mathematik, mathematische Schlüsselkonzepte und ihre wissenschaftsphilosophischen Grundlagen zeigt, dass die Verhältnisbestimmung von Dichtung, Ästhetik, Kulturwissenschaft und Mathematik im Zeichen der wissenschaftlichen Moderne zwischen 1880 und 1950 ein konstitutives Element der kulturellen Selbstverständigung darstellt. Zugleich verschafft die Analyse Einblicke in die Bedingungen und Faktoren, die zu dem bis heute wirksamen ‚Image‘ der Mathematik geführt haben.

Die an den Methoden der Diskursanalyse, Wissenssoziologie und der Wissenstransferforschung orientierte komparatistische und interdisziplinäre Untersuchung stützt sich dazu auf Texte von Ernst Cassirer, Wilhelm Dilthey, Edmund Husserl, Robert Musil, Hermann Broch, Paul Valéry, G. H. Hardy, Henry Poincaré, David Hilbert u.a., bezieht aber auch Material aus den Kultur- und Naturkundezeitschriften und anderen popularisierenden Medien der Zeit in die Analyse ein.

Verknüpfungen:

Lutz Danneberg, „ein Mathematiker, der nicht etwas Poet ist, wird nimmer ein vollkommener Mathematiker sein“: GeschmackTaktästhetisches Empfinden im kulturellen Behauptungsdiskurs der Mathematik und der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert – mit Blicken in die Zeit zuvor und ins 20 Jahrhundert. In: Andrea Albrecht, Gesa von Essen und Werner Frick (Hg.), Zahlen, Zeichen und Figuren: Mathematische Inspirationen in Kunst und Literatur. Berlin/New York 2011, S. 600-658. Wesentlich erweiterte Fassung FHEH-Preprint, Version 1. 12. 2014.

Vorarbeiten:

  1. Andrea Albrecht (mit C. Blohmann) Dichter, Mathematiker und Sterndeuter. Hermann Brochs „Unbekannte Größe“, in: Gestirn und Literatur im 20. Jahrhundert. Eds. Maximilian Bergengruen et al., Fischer (Weiße Reihe), Frankfurt am Main 2006, p. 209-224.
  2. -: „Ueberall wird in Naturwissenschaft gemacht.“ Die Diskussion um Kultur, Bildung und Mathematik in den Kulturzeitschriften der Jahrhundertwende, in: Europäische Kulturzeitschriften um 1900 als Medien transnationaler und transdisziplinärer Wahrnehmung. Ed. Ulrich Mölk, Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, 3. Folge, Vandenhoeck und Ruprecht, Göttingen 2006, p. 197-213.
  3. -: „Symmetrie“, „Pentagramm“, „Null“ und „Sieben“, Lexikonartikel zu: Metzler Lexikon literarischer Symbole, hg. v. Günter Butzer und Joachim Jacob, Stuttgart 2008.
  4. -: Mathematische und ästhetische Moderne. Zu Robert Musils Essay „Der mathematische Mensch“, in: Scientia Poetica, Bd. 12 (2008), S. 218-250.
  5. -: Mathematisches Wissen und historisches Erzählen: Michael Köhlmeiers Roman „Abendland“, in: Gegenwartsliteratur. Ein germanistisches Jahrbuch, Bd. 8, 2009, S. 192-217.
  6. -: Die Mathematik im ,Diesseits der Kultur‘. Literaturwissenschaftliche und wissenschaftsgeschichtliche Studien zur kulturellen Repäsentation des Mathematischen. Als Habilitations-Schrift vorgelegt an der Philologischen Fakultät der Universität Freiburg, Februar 2011, FHEH-Preprint.

KontaktAndrea Albrecht