Popularisierung von Wissen

Bearbeitung: Lutz Danneberg, Andreas Möller, Jürg Niederhauser

Gegenstand des Teilprojekts ist die Popularisierungsgeschichte der modernen Physik. Die Untersuchung erstreckt sich auf den Zeitraum zwischen der Entdeckung des elementaren Wirkungsquantums durch Max Planck (1900) bzw. der Aufstellung der speziellen Relativitätstheorie (1905) und der Popularisierung der Quantentheorie in den 1920er und frühen 1930er Jahren. Ausgehend von der Annahme, dass für die gesellschaftliche Akzeptanz wissenschaftlicher Ergebnisse emotionale und soziokulturelle Faktoren geltend gemacht werden müssen, werden drei Teilaspekte untersucht: die Motivationen und Strategien der Vermittlung bestimmter wissenschaftlicher Resultate sowie deren öffentliches Echo.

Im Mittelpunkt des Teilprojekts steht somit die Frage, welche Gründe die Physiker im Untersuchungszeitraum veranlassen, den Adressatenkreis ihrer Veröffentlichungen auszuweiten und den Weg zu einem fachfremden Publikum zu suchen. Den bisherigen Untersuchungsergebnissen zufolge führen fachinterne Widersprüche so evident wie in keiner anderen naturwissenschaftlichen Disziplin zu einer Verlagerung des Autoritätsaufbaus mit Hilfe quasiplebiszitärer Interessensbekundungen. So nimmt der Raum, den physikalische Zeitschriften den Diskussionen über die weltanschaulichen Dimensionen theoretischer Arbeiten einräumen, ab Mitte der 1920er Jahre ab. Für Popularisatoren wie den Logischen Empiristen Hans Reichenbach (1891-1953), der als Prüfer und Korrektor der Populärliteratur wirkt und auf diesem Wege in die Rolle des Einstein-Verteidigers schlüpft, ergibt sich hieraus die Handhabe, auf Presseformate auszuweichen, in denen Fragen der philosophischen Interpretation im Vordergrund stehen. Diese reichen von der Tagespresse (FZ, VZ) bis zu Zeitschriften wie der Literarischen Welt.

Einer sich rasant entwickelnden modernen Physik gelingt es nach den Erschütterungen der klassischen Physik, die das naturwissenschaftliche Denken für mehr als zwei Jahrhunderte bestimmt hatte, allem Anschein nach nicht mehr, fachinterne Kontroversen erschöpfend zu diskutieren und konsensuell zu schlichten. Stärker als im Falle der Relativitätstheorie, die in zwei Etappen (1905, 1915) und in einem so wahrgenommenen personellen Alleingang entwickelt wird, betrifft dies die Auseinandersetzungen zwischen den realistischen Interpretationen der Quantentheorie, wie sie von Einstein und Erwin Schrödinger vertreten werden, und der Kopenhagener Deutung Niels Bohrs und Werner Heisenbergs, in welcher der Wahrscheinlichkeitsbegriff eine besondere Rolle spielt. Der fachinterne Dissens führt damit zum Teil zu einer Delegation von Entscheidungsfindungen über die Fachgrenzen hinaus, indem ein regelrechter Wettstreit um die Präsenz der Standpunkte im öffentlichen Raum beginnt.

Insbesondere im Fahrwasser der als ‚abgeschlossen’ geltenden Relativitätstheorie warten die Wissenschaftler ihre Zeit daher gewissermaßen nicht ab, sondern werden selbst aktiv, um öffentliche Voten herbeizuführen. Die populär gewordenen Vortragsreisen Einsteins ins In- und Ausland oder die Radiosendungen Reichenbachs widersprechen dabei insofern der wissenschaftlichen Praxis, als der Wissenschaftler die Anerkennung über den Wert der Forschungsresultate nicht dem fachinternen Urteil überlässt, sondern sich um die außerwissenschaftliche Öffentlichkeit bemüht. Die Anfeindungen, denen sich Einstein als Privatperson ausgesetzt sieht, haben ihre Ursache daher nicht zuletzt im Effekt der gesteigerten Personalisierung von Wissen, obgleich der weltanschauliche Hintergrund der Ressentiments bereits in den 1920er Jahren unübersehbar ist.

Zumal dann, wenn das Wissen nicht allein durch einen hohen Grad an Mathematisierung gekennzeichnet ist, sondern wie im Falle der Quantentheorie die Objektivierbarkeit experimenteller Beweismittel verneint, nehmen Kompetenz- und Autoritätsargumente eine entscheidende Rolle bei der Wissensvermittlung ein. Ein Untersuchungsaspekt des Projekts widmet sich darum der Frage, welche Bedeutung in diesem Zusammenhang Kriterien wie Vertrauen, Kompetenz, Personalität, Autorität, Status und Distinktion beizumessen ist.

Der Wissenschaftler selbst wird durch die öffentliche Stellung einzelner Erkenntnisse zu einem Popularitätsfaktor, wenn er den Nimbus des Entdeckers, Schöpfers oder alleinfähigen Ausdeuters anspruchsvoller Gedankenwelten auf sich vereinen kann. Hierbei erscheint es bemerkenswert, dass gegenüber der momentanen Wahrnehmung eines anonymen Netzes von Wissenschaftlern, die sich etwa mit Fragen der Biomedizin auseinandersetzen, das Weltbild der klassischen Physik von einigen wenigen Handelnden zum Einsturz gebracht wird; so zumindest vermitteln es weite Teile der Wissenschaftsgeschichte. Das Phänomen des Personenkults geht dabei über Fragen des wissenschaftlichen Bereichs hinaus und offenbart die Vertrauen stiftende Wirkung einer inszenierten Nähe, die der tatsächlich vorhandenen Anonymität bei der Auseinandersetzung mit einem fremden Wissen kontrastiv gegenüber steht. Anders als der Popularisator, ist der Wissenschaftler nicht nur Urheber und Symbolfigur des Wissens, sondern ein mediales Schauobjekt, wie das Öffentlichkeitsinteresse an allen Aspekten der Einsteinschen Biografie bis in das Jubiläums-Jahr 2005 hinein verdeutlicht.

Die Wissenschaft – auch diesem Aspekt geht das Teilprojekt nach – ist an einer entsprechenden Wahrnehmung nicht unbeteiligt. Obgleich sie das öffentliche Gespräch nicht kontrollieren können, stehen namhafte Fachgelehrte für den Versuch, die Popularisierung einzelner Resultate über den Steigbügel der Personifizierung voranzutreiben. Sie bezeugen damit den Wunsch, dem Fachwissen über charismatische Einzelfiguren den Weg zu einem nach den Gesetzen des Buch- und Pressemarktes zunehmend breiter aufgestellten Lesepublikum zu ebnen, wobei die Arbeitsteiligkeit der Forschung nicht selten zu Gunsten wissenschaftlicher Geniestreiche aus einer Hand unterschlagen wird.

Einer der eindrucksvollsten Belege dafür ist die 1920 erstmals erscheinende Abhandlung Max Borns mit dem Titel Die Relativitätstheorie Einsteins und ihre physikalischen Grundlagen, die in den historischen Zeitraum fällt, in dem die Veröffentlichungen über die RT im europäischen Kontext dank der Eddington-Expeditionen von 1919 ihren Höhepunkt erreicht haben. Denn die von Einstein prognostizierte Ablenkung des Lichts durch massereiche Körper im Weltraum kann bei der berühmen Sonnenfinsternis bestätigt werden, was das Interesse der Öffentlichkeit auch aus politischen Gründen tangiert. Schließlich wird der Prioritätsanspruch zwischen Einstein und Newton nur ein Jahr nach Beendigung des Ersten Weltkriegs durch den führenden britischen Astrophysiker zu Gunsten Einsteins entschieden und verheißt im Lichte außerwissenschaftlicher Argumentation betrachtet weit mehr als die Lösung der Frage nach der Vorherrschaft zweier konkurrierender geometrischer Systeme.

Zu fragen ist also, wie Einstein, aber auch Physiker wie Werner Heisenberg durch fachwissenschaftliche Fürsprecher als Autoritätsfiguren aufgebaut werden, was im Widerspruch zum längst erreichten Arbeitsteilungs- und Internationalisierungsgrad der Wissenschaften steht. Im Rahmen des Teilprojekts soll deshalb das Phänomen der Verwendung von Ad-Personam-Argumenten in der Wissenschaftsvermittlung untersucht werden. Hierbei ist gleichsam zu beachten, dass die Personalisierung des Wissens als eine Strategie angewendet wird, um Animositäten gegenüber den als ‚blutleer’, ‚entwirklichend’ oder ‚abstrakt’ stigmatisierten mathematischen Naturwissenschaften abzubauen.
Verknüpfungen

Vorarbeiten

  1. Andreas Möller: Aurorafalter und Spiralnebel. Naturwissenschaft und Publizistik bei Martin Raschke 1929-1932. Frankfurt am Main 2006.
  2. Jürg Niederhauser: Wissenschaftssprache und populärwissenschaftliche Vermittlung. Tübingen 1999

Kontakt: Andreas Möller