Praxeologie der Philologie

Bearbeitung: Steffen Martus, Carlos Spoerhase

‚Praxis’ ist für die Geisteswissenschaften ein wissenschaftstheoretisch, wissenschaftspolitisch und wissenschaftspädagogisch zentraler, aber unterreflektierter Begriff. Häufig wird die geisteswissenschaftliche Praxis lediglich im Blick auf die Schnittstellen zu anderen, nicht genuin geisteswissenschaftlichen Praktiken untersucht, denen eine höhere Praxisnähe oder Anwendungsorientierung zugeschrieben wird. Im Gegensatz zu diesen Ansätzen sollen die Geisteswissenschaften hier als Wissenschaften sichtbar werden, die keineswegs praxisfern sind, sondern sich mittels eigener Praktiken institutionalisieren und weiter entwickeln. Das Projekt „Die Praxis der Literaturwissenschaft“ versteht sich daher als Grundlagenforschung und zielt auf die exemplarische Modellierung des Praxis-Bezugs philologischer Forschung.


Der ‚Praxis’-Begriff stellt für die Geisteswissenschaften im Moment in mindestens dreierlei Hinsicht eine Herausforderung dar:
– Theorie und Praxis werden erstens in der wissenschaftstheoretischen und methodischen Selbstreflexion häufig getrennt;
– Theorie und Praxis werden zweitens i. d. R. im Rahmen der Separierung von ‚klassischer’ und ‚angewandter’ Geisteswissenschaft geschieden;
– Theorie und Praxis werden drittens nicht im Hinblick auf die stark divergierenden institutionellen Adressatenfelder literaturwissenschaftlichen Arbeitens und die Herkunftsorte literaturwissenschaftlicher Gegenstände profiliert.

Unser Projekt zielt vor diesem Hintergrund auf die systematische Erstellung von Heuristiken (lexikalische Erfassung des Forschungsbereichs; Materialerschließung; Bibliographie) und auf exemplarische Analysen. Am Beispiel der Literaturwissenschaft sollen die Perspektive einer „Praxeologie“ entwickelt und auf diese Weise ein fest umrissenes interdisziplinäres Forschungsfeld eröffnet werden. Es geht uns zum einen darum, den wissenschaftlichen Umgang mit Texten auch als ein Handwerk begreifbar zu machen, das Werkzeuge des Wissens mittels bestimmter Praktiken einsetzt, um Handlungsroutinen im Kontext von (Interaktions-)Räumen und (Wissens-)Orten auszubilden.

Zum anderen geht es um die Frage, inwiefern sich die Praxis einer Disziplin wie der Literaturwissenschaft über ihre Grenzen hinaus vermitteln lässt und inwiefern umgekehrt andere Formen der Praxis in die Literaturwissenschaft von außen eingeführt werden können. Solche ‚Transformationen’ von Praktiken sollen im Institutionen-Dreieck Universität, Schule und Literaturbetrieb untersucht werden, weil Schule und Literaturbetrieb die privilegierten Kontexte der universitären Literaturwissenschaft bilden.

Kontakt: Steffen Martus