Hermeneutik um 1600: logica und probatio theologica

Bearbeitung: Lutz Danneberg, Carlos Spoerhase, Dirk Werle

Das Vorhaben will einen Beitrag zur Philosophiegeschichte des 16. und 17. Jahrhunderts leisten. Angelpunkt der Untersuchung wird eine Innovation sein, die sich um 1600 ereignet und die für das folgende Jahrhundert prägend bleibt: Erstmals finden hermeneutische Auslegungsregeln Aufnahme in logische Lehrwerke. Das Projekt will die zusammenwirkenden Veränderungen und Relevanzverschiebungen in der humanistischen Wissenslandschaft aufzeigen, die diesen Schritt als Antwort auf eine spezifische epistemische Situation erkennbar werden lassen.

Einen Kristallisationspunkt der Untersuchung werden zwei Theoretiker bilden, deren Werke die Aufnahme der Hermeneutik in die Logik vollziehen und die – obwohl in ihrer Zeit intensiv rezipiert – von der Forschung bislang nur sporadisch beachtet wurden. Bartholomäus Keckermann (1571-1608) galt nach seinem Tod als einer der bedeutendsten reformierten Theologen und Philosophen; allein seine logischen Lehrwerke erreichten im 17. Jahrhundert mehr als fünfzig Auflagen. Der etwa gleichaltrige, lutheranische und noch weniger erforschte Jacobus Martini (1570-1649) gehörte zu den einflussreichsten Gelehrten der Universität Wittenberg in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts; wie Keckermann (und in intensiver Auseinandersetzung mit dessen Werk) nahm er die Hermeneutik in seine zahlreichen Schriften zur Logik auf. So lassen sich aus einem Vergleich beider Theoretiker die Einflüsse kontroverstheologischer Fragestellungen auf die Bestimmung des Verhältnisses von Hermeneutik und Logik ersehen.


Als Hintergründe der genannten Innovation sollen analysiert werden:

  • Veränderungen der Logikkonzeption, die eine solche Aufnahme ermöglichen;
  • die sich in der Reformationszeit verschärfende Komplexität der Problembezüge, in denen die hermeneutica sacra als Beweislehre (probatiotheologica) für theologische Wissensansprüche stand;
  • die Aufwertung der Grammatik im tradierten Gefüge der Wissensdisziplinen und die ad-fontes-Diskussion;
  • Umgewichtungen innerhalb der grammatica hinsichtlich der aus der Antike überlieferten Unterscheidung von grammatica methodica und exegetica; Wandlungen innerhalb der Hermeneutik, vor allem hinsichtlich der Versuche, deren Regeln in einen systematischen Zusammenhang zu bringen und sie auf bestimmte Probleme des (Text- bzw. im weiteren Welt-)Verstehens zu beziehen;
  • Einflüsse des Neoaristotelismus spanischer sowie italienischer Provenienz;
  • die zeitgenössische Kontroverstheologie, vor allem die aufbrechenden Lehrdifferenzen zwischen Lutheranern und Calvinisten mit Blick auf die Abendmahlslehre und die Deutung der (Einsetzungs-)Worte Hoc est corpus meum;
  • als letzter und nur in seinen Anfängen zu untersuchender Aspekt: die Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlichen Wissensansprüchen.


Verknüpfungen


Vorarbeiten

  1. Lutz Danneberg, Logik und Hermeneutik: die analysis logica in den ramistischen Dialektiken. In: Uwe Scheffler und Klaus Wuttich (Hg.), Terminigebrauch und Folgebeziehung. Berlin 1998, S. 129-157
  2. -, Logik und Hermeneutik im 17. Jahrhundert. In: Jan Schröder (Hg.), Theorie der Interpretation vom Humanismus bis zur Romantik – Rechtswissenschaft, Philosophie, Theologie. Stuttgart 2001 (Contubernium 58), S. 75-131 (frz. Übersetzung: Logique et herméneutique au XVIIe siècle. In: Jean-Claude Gens (Hg.), La logique herméneutique du XVIIe siècle – J.-C. Dannhauer et J. Clauberg. Argenteil 2006, S. 15-65).
  3. -, Vom grammaticus und logicus über den analyticus zum hermeneuticus. In: Jörg Schönert und Friedrich Vollhardt (Hg.), Geschichte der Hermeneutik und die Methodik der textinterpretierenden Disziplinen. Berlin/New York 2005 (Historia Hermeneutica. Series I: Studia 1), S. 255-337
  4. -, Kontroverstheologie, Schriftauslegung und Logik als donum Dei: Bartholomaeus Keckermann und die Hermeneutik auf dem Weg in die Logik. In: Sabine Beckmann und Klaus Garber (Hg.), Kulturgeschichte Preußens königlich polnischen Anteils in der Frühen Neuzeit. Tübingen 2005 (Frühe Neuzeit 103), S. 435-563.
  5. -: Die eine Logik des Petrus Ramus. In: Joel Biard und Fosca Mariani Zini (Hg.), Le lieux de l’arguemntation. Histoire du syllogisme topique d’Antiquité à Leibniz. Turnout 2010, S. 385-408. Erweiterte Version,10.2. 2017; PDF-Dokument.
  6. -: Keckermann und die Hermeneutik: Ein Kommentar zu den hermeneutischen Regeln in seinem Werke Systema logicae. In: Ralf Bogner et al. (Hg.), Realität als Herausforderung […]. Berlin/New Yorek 2011, S. 161-179. Wesentlich erweiterte Version vom 15. 03. 2013, PDF-Dokument.

Kontakt: Lutz Danneberg

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